Bremer Kinder- und Jugendkantorei: Weser-Kurier-Artikel

Weser-Kurier vom 11.06.2015

Schwere Wege

Bremer Kinder- und Jugendkantorei und Kaffeehaus-Orchester führen Werk über Fluchtthemen auf

Kerstin Thompson 11.06.2015

In der neuen Produktion der Bremer Kinder- und Jugendkantorei und des Bremer Kaffeehaus-Orchesters in Kooperation mit der Propsteigemeinde St. Johann geht es musikalisch um das Nachdenken über „Kreuzweg“ und „Flucht“. Am Sonnabend, 14. Juni, um 16 Uhr wird in der Propsteikirche St. Johann im Schnoor Premiere gefeiert: An die 60 Kinder und Jugendliche aus allen Stadtteilen sind an der Aufführung unter der Leitung von Ilka Hoppe beteiligt.

Die Bremer Kinder- und Jugendkantorei erarbeitet Projekte mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und führt sie auf. So setzten sich die Chormitglieder seit der Gründung der Kinder-und Jugendkantorei im Jahr 2008 mit Märchenspielen und Kinderopern, klassischer Kirchenmusik und moderne Revuen auseinander und aktuell in diesem Jahr mit dem Thema Flucht und Flüchtlingen.

„Wir sind in dem neuen Stück „Das Schaf gewinnt?!“ ständig in Bewegung“, sagte Chorleiterin Ilka Hoppe in der Probenpause in der Wilhadi-Gemeinde in Walle. „Wir gehen auf etwas zu und wir gehen von etwas weg!“, ergänzte sie. „Es geht um die Bewegung von Weggehen, von Verabschieden und Ankommen, es geht um Veränderung.“

Man verabschiedet sich von seiner Herkunft – kommt aber auch anderswo an und verändert sich selbst. Symbolisch stehe das Schaf für den Friedensgedanken, sagt Ilka Hoppe. „Das Schaf ist immer da. Es ist Weihnachten von der Krippe nicht wegzudenken. Und im Osterlamm symbolisiert es Leben und Auferstehung.“

Maria und Josef seien auch Flüchtlinge in Not gewesen, sagt die Musikerin. Das Stück sei mehrdimensional zu verstehen, es laufe auf mehreren Zeitschienen und reiche bis zur Gegenwart. „Uns haben die andauernden schrecklichen Nachrichten mit den vielen ertrunkenen Flüchtlingen sehr berührt. Das ist kaum noch auszuhalten. Wie können wir damit umgehen?“

Gewalt, Kriege, Flucht – diese ebenso aktuellen wie zeitlosen Themen beschäftigten Ilka Hoppe und alle anderen Mitwirkenden unter unterschiedlichen Aspekten: Was bedeutet Flucht? Warum muss jemand fliehen? Wie und wo kommen Flüchtlinge an? Wie sieht der Weg dazwischen aus? Wie gehen Deutsche und andere Europäer damit um? Warum entstehen überhaupt Situationen, in denen Menschen die Flucht ergreifen?

„Ich habe mit den Kindern und Jugendlichen zusammen eine ,musikalische Reflexion’ entwickelt, in die sie Erlebnisberichte, Fakten und Zahlen, aber auch Persönliches oder Zeitungsberichte eingebaut haben. Wie die dreizehnjährige Ella aus Martfeld“, sagt Ilka Hoppe. „Den Stoff zum Stück habe ich selbst aus dem Internet rausgesucht.“

Es geht beispielsweise um die im Mittelmeer ertrunkenen afrikanischen Bootsflüchtlinge, Hunderte von Toten allein im Februar und im April. Andere Texte sind vorgetragene Erlebnisberichte, geschrieben von Flüchtlingen. Sie stammen von Hilfsorganisationen und auch von der Flüchtlingshilfeorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR).

Janet (13) aus der Neustadt steht allein den vielen anderen Darstellern gegenüber. „Wir gehen und wir lassen gehen“, sagt sie zu ihnen und fragt: „Wo komme ich her? Ich erinnere mich an meine Wurzeln. Meine Heimat, meine Eltern, meine Mutter. Ich bin allein.“

Sie trägt das authentisch vor. Es ist spürbar, dass das Mädchen den Text ernst nimmt und emotional ganz und gar dabei ist, so als habe es ihn verinnerlicht. Einsamkeit – dieses Gefühl taucht als Thema auch musikalisch immer wieder auf. Unter dem Leitgedanken „Wege in schweren Zeiten – Wohin?“ kommen gleich am Anfang zwei Brechttexte mit der Musik von Hanns Eisler, die die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Liedern aufgreifen. „,Hotelzimmer 1942‘ und ‚An den kleinen Radioapparat‘, spiegeln die Einsamkeit und das Leid sehr ausdrucksstark wieder. Opfer und Täter, Krieg und Verfolgung, Exil und Flucht, Suche nach einem Weg und einem Ausweg. Diese Themen haben uns stark beschäftigt, und wir setzen sie auf unterschiedliche Weise um“, sagt Ilka Hoppe.

Die Kinder und Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren haben das Stück unter ihrer künstlerischen Leitung gestaltet. Es ging ihnen darum, verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten auszuprobieren, zu singen und Theater zu spielen, aber auch darum, das Publikum zum Nachdenken anzuregen, es zu provozieren und eine eigene Botschaft zu vermitteln.

Die verschiedenen Wege des Schafes werden auch in den Bewegungen der Schülerinnen und Schüler deutlich. Chor und Orchester singen und spielen oben auf der Orgelempore und unten in Kirchenschiff und in der Apsis. Neben Orgelvariationen von Marcel Dupré erfüllen zwei wiederkehrende musikalische Motive den Kirchenraum: das „Agnus dei“ und der Choral „Korn, das in die Erde“. So wird in dem Stück auch das Schaf mit „Flucht“, „Weg“ und „Kreuzweg“ konfrontiert. Es muss seinen eigenen Weg finden.

Das Stück „Das Schaf gewinnt?! ist am Sonntag, 14. Juni, um 16 Uhr in der Propsteikirche St. Johann im Schnoor zu sehen. Eintritt frei. Spende erbeten. Neue Sängerinnen und Sänger sind jederzeit herzlich eingeladen, sich die Proben unverbindlich anzuschauen und mitzumachen.