Bremer Kinder- und Jugendkantorei: Weser-Kurier-Artikel

Weser-Kurier vom 23.03.2023

Was können wir aus der Geschichte lernen?

Bremer Jugendkantorei geht mit dem Musiktheater ›Der Kreis‹ dieser Frage nach.

Von Silja Weisser

»Völker und Regierungen haben niemals etwas aus der Geschichte gelernt.« Hegel stellt infrage, dass Geschichte exemplarisch für das Hier und Jetzt sein kann. Wiederholt sich Geschichte nicht? Oder doch? Die Frage, die nicht nur Hegel, sondern auch vielen anderen Philosophen, Historikern und Politikern Kopfzerbrechen bereitet, nimmt sich die Bremer Jugendkantorei in ihrem Musiktheater zum Thema. Mit ›Der Kreis‹ geht die 20-köpfige Gruppe um Regisseur Christoph Jäger und musikalische Leiterin Ilka Hoppe auf eine Zeitreise durch die Geschichte.

Als Proben- und Aufführungsort steht die geräumige Aula der Waldorfschule Osterholz zur Verfügung. Hier ist zwischen Stuhlreihen und Bühne noch ausreichend Platz für das Bremer Kaffeehaus-Orchester, das für musikalische Begleitung sorgt.

›Rote Reporter‹ als Vorlage

Chorleiterin Ilka Hoppe und Theaterpädagoge Christoph Jäger nahmen sich im Sommer des Stoffs der ›Roten Reporter‹ an, einer Theatertruppe, die das politische Geschehen in der Weimarer Republik scharfsinnig kommentierte. Die Gruppe machte in Bremen Propaganda gegen die Nazis. Ein alles andere als ungefährliches Engagement. Hoppe stieß durch Zufall im Staatsarchiv auf alte Polizeiprotokolle, die die Theaterstücke und Lieder der ›Roten Reporter‹ dokumentierten. Sie dienen dem Musiktheater ›Der Kreis‹ als Vorlage.

Und so spielt die Polit-Revue auf zwei zeitlichen Ebenen: in der Gegenwart und vor dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus ein Jahrhundert zuvor. Wer zu welcher Zeit gehört, verdeutlichen die Akteure mit simplen Mitteln. Hosen und Hemden in gedeckten Tönen, ein rotes Tuch am Hals oder um die Hüfte gebunden gehören zum Arbeitermilieu, das in den 1920ern mobil machte und für die Utopie einer gerechten kommunistischen Gesellschaft kämpfte. »Und wir hier kommen aus der Gegenwart«, erklärt Jonna Steuck. Die Zwölfjährige zeigt auf die weißen Hosen und knalligen T-Shirts, die der Rest der Gruppe trägt.

So kontrastreich das Bild ist, so wird doch schnell offensichtlich, dass es inhaltlich eine Schnittmenge gibt. Der starke Rechtsdruck, der aus einer Demokratie heraus erwachsen kann und die Werte der Freiheit zerstört, bereitet Menschen früher wie heute Sorgen.

Um Schwarzmalerei oder pessimistische Vorhersehung geht es jedoch nicht. »Es soll kein destruktives Stück sein«, stellt Hoppe klar. Ihr geht es um Geschichtsbewusstsein. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, wird »in der Lage sein, die zu entlarven, die mit demokratischen Mitteln Macht erlangen, um die Demokratie und die Werte der Freiheit von innen zu zerstören«, mahnt ein Exilant im Stück. Einen Ausweg aus dem Kreislauf der Geschichte bietet das Stück an: Liebe und Zuversicht sind die Lösungsvorschläge, die in den Songs zum Ausdruck kommen.

Die Jugendlichen sind hoch konzentriert dabei, stampfen zum Rhythmus, beugen bei langsamen Melodien gemeinsam ihren Oberkörper nach vorne, folgen aufmerksam den Anweisungen der Chorleiterin. »Leise und zügig und immer mit einem Lächeln«, fordert diese auf. Die Figuren wurden zusammen mit den Darstellern entwickelt. »Wir drücken niemanden in etwas hinein«, betont Jäger.

Song von den brennenden Zeitfragen

Anselm Hauke, Gründungsmitglied des Kaffeehaus-Orchesters, ist begeistert von der Zusammenarbeit mit der Kantorei. Seit rund 15 Jahren bringen Orchester und Chor gemeinsam Stücke auf die Bühne. Diesmal liegen auf den Notenständern Stücke wie der ›Song von den brennenden Zeitfragen‹ über den ›Marsch ins Dritte Reich‹ bis zu Gabriel Faurés ›In paradisum‹. Der Profi am Kontrabass ist aber noch von etwas ganz anderem angetan: »Vom Engagement der Jugendlichen kann ich mir eine Scheibe abschneiden. Die sind unermüdlich und mit Feuereifer dabei.«

Die vielen Proben vor der Aufführung schlauchen die Akteure nicht. »Man hat Verpflichtungen«, meint Linnea Vogler professionell. Als Teil einer Gruppe könne man nicht einfach so wegbleiben, bekräftigt die Zwölfjährige, die wie viele der jungen Akteure bereits im Kinderchor der Kantorei angefangen hat zu singen.

Lange schnacken kann sie nicht. Die Pause ist kurz. Hoppe fordert zum Weitermachen auf. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis das eineinhalbstündige Stück bühnenreif sein soll. Auch mit Fehlern oder falschen Einsätzen müssen die Sängerinnen und Sänger umgehen können. »Was auch immer ihr tut, tut es aus Überzeugung«, fordert die Chorleiterin von den Jugendlichen.